31. Jan 2016

Mosaike am Schulhof

»Mach’ einfach mit!« - Mosaike am Schulhof, Teil II

Peng! Mit gezieltem Hammerschlag auf die Rückseite der Fliese. Sie splittert, und das Trommelfell auch. Nein, doch nicht. Aber das Zerspringen beißt schon sehr scharf in den Ohren. Nach einigen Stunden gewöhnen wir Neuen uns an das irre Klirren, und beginnen die Formen zu sehen: Spitze Zacken – das wird eine Blume. Stumpfe Winkel – hier noch mal draufhauen. Der Hammer saust, die Scherben fliegen, und das große Puzzeln beginnt.

In der letzten Woche der Sommerferien kommen Schülerinnen aus der Ganztagsschule, Frau Teichtmann und einige Interessierte zusammen, um die andere Seite des »Eingangs mit Spirale« zu bearbeiten. Die erste entstand vorigen Sommer, die zweite schon in den Köpfen.
Vor den Ferien wurden die Bodenschichten gelegt. Nun folgen weitere Strömungen, zuerst mit Kreide an die Wand gezeichnet, Fliesenkleber auf den Haftgrund aufgetragen, und alle legen los, geübt oder nicht. »Mach’einfach mit!« – mit zwei, drei Handgriffen zeigen die erfahrenen Schülerinnen den Neuen, wie es geht. Wir drücken Scherben mit klaren Konturen an der Außenkante in den Kleber. Dann füllen wir die Fläche mit Scherben aus. Klingt ganz einfach …
Wir scharren in den Schüsseln nach der passenden Scherbenfarbe und –form. Runde Glassteine und Spiegelscherben sind begehrte I-tüpfelchen. Die nächste Strömung mit einem anderen Farbschwerpunkt entsteht darüber. Am Tag darauf die nächste, graublaue. Am Nachmittag schwappt die grüne Strömung unterm Geländer durch über die Kante, Schülerinnen drücken in waghalsigen Positionen Scherben in die Masse. Kleine rote Übermutsfunken springen in die Farbordnung und lassen uns lächeln.

Frau Teichtmann packt immer wieder Schätze aus, die das Puzzeln bereichern: feine Fliesen der Göttinger Keramikerin mit floralen Reliefarbeiten und raffinierten Glasuren. Es gibt schöne Details zu bewundern. »Dürfen wir die auch zerschmettern??« Peng.
Die Tupfentasse, die letzten Sommer einen Sprung bekam. Peng. Zerkleinert, fließt sie mit ein. Stina bringt sogar Teller aus dem getöpferten Service ihrer Familie, die in einem unglückseligen Moment auf den Boden rauschten. Eifrig werden sie zerklopft, und in Meer verwandelt. Wir erleben ein gemeinschaftliches Zuarbeiten, langsam wächst das Ganze, und nimmt Gestalt an.

Die zwei krönenden Spiralen – Wie gestalten wir sie farblich? Wir probieren es aus, auf einem großen improvisierten Tisch. Es beginnt ein spannender Prozess: Legen und Schieben. Farbverläufe entlang der Spirale oder nicht? Von innen nach außen? Und obwohl so viele Köche an diesem Spiralbrei stehen, ist das nur bereichernd. Irgendwann entsteht eine Variante, die Klarheit ausstrahlt. In Übereinkunft beschlossen, wird nun alles an die Wand gebracht, und da sprießen bei Sabine, Lina, Stina, Wiebke, Claire, Fiona, Paula und Lilli im Legen noch mehr Ideen. Da wachsen Blumen, da fliegen und versprenkeln sich Teilchen, das Werken bekommt eine tolle Eigendynamik und Lebendigkeit. »Dürfen wir?« Frau Teichtmann bejaht, und findet: »Die machen das toll.«

Am Ende der Woche ist allen der Formenblick in Fleisch und Blut übergegangen. Trauben sind nicht mehr nur Trauben, Steine nicht mehr nur Steine, und im Schneiden einer Gurke zur Mittagspause arrangieren sich die zartgrünen Scheibenschönheiten auf dem Teller unwillkürlich zu einem Ornament. Wir lachen über uns, und miteinander. Schöner kann Arbeiten eigentlich nicht sein.

Hausmeister, Klassenlehrer und Mitarbeiter schauen uns interessiert über die Schulter und wünschen sich noch anderswo Mosaike. Als letztes Projekt für die Ferienwoche gibt es noch die Idee, eine Betonbank zu bestücken. Am Eingang zur Sportwiese, mit griechisch anmutenden Wellen, weiß und blau, passend zur Olympiade der fünften Klassen.
Während die Einen noch weiter Material zerklopfen, ziehen drei Schülerinnen los und nehmen die Vorbereitungen in die Hand. Sie skizzieren eine Welle, wählen gemeinsam die Schönste, schneiden eine Schablone aus und zeichnen an. Dann werden Wellen probegelegt – das macht Sinn, dabei kommen die ästhetischen Erkenntnisse. Es ist überraschend, wie schnell und mühelos die Schülerinnen Inhalt in Form übersetzen: »Wir haben gemerkt, dass wir viel kleinere Steine als drüben bei der Spirale brauchen, damit die Welle wirklich fließend und beweglich aussieht. Und sie wirkt am besten mit einem Farbverlauf von dunkel nach hell, wenn das türkis erst hier oben einsetzt…« – und es sieht wirklich überzeugender aus. Respekt.

Frau Teichtmann steht die ganze Woche über allen unermüdlich, fröhlich und sehr flexibel zur Seite.
So kleinteilig sind die Wellen allerdings wirklich eine Herausforderung an Geduld und Ausdauer. Der Teufel steckt im Detail, und im zu dünn aufgetragenen Fliesenkleber. Die Hälfte der Scherben löst sich wieder. Aber es ist auch klar: heute noch. Also noch mal anders hingekauert, quergelegt oder bäuchlings, und die losen Scherben wieder einzeln festgeklebt.
Es wächst der Respekt vor Bauwerken, die über Jahre hinweg von Hand verziert wurden.

Damit unser Werk aber wenigstens über den Winter hinaus hält, will auch das Material gut gewählt sein! Wir haben im Überschwang die wunderbar blaugrün gemusterten Scherben einer Vase eingearbeitet. Die sind aber nicht frostsicher. Wie schade – wir picken sie heraus und fahnden nach ähnlich geformten, um sie zu ersetzen. Zu guter Letzt springen noch zwei Fische aus den Wellen. Sind die nicht zu albern? Ist unserem Urteil noch zu trauen? Am Schluss sind alle froh über die aus dem Moment geschöpften Ideen.

In den ersten Wochen nach den Sommerferien ist das Verfugen noch in vollem Gang. Erneut zeigt Frau Teichtmann enormen Einsatz und verfugt noch bis in den späten Abend hinein große Flächen allein zu Ende. Doch wie hat es sich gelohnt! Es gibt sehr schöne Resonanz auf die entstandenen Mosaike.

Wenn es draußen wieder wärmer wird, verputzen wir die Flächen, schleifen die scharfen Kanten ab, und schmieden neue Pläne. Und neuen Interessierten aus der Schulgemeinschaft wird wieder freundlich zugerufen: »Mach’ einfach mit!«

Text: Julia Klenk · Fotos: D. Teichtmann