Trigonometrie in Gummistiefeln
Feldmessfahrt der Klasse 10a nach St. Andreasberg im Harz, Sommer 2011
Das Feldmessen ist die Klassenfahrt, auf der man zum ersten Mal im wirklichen Leben Trigonometrie anwendet. Aber eigentlich geht es weniger darum, selbst wenn sie am Anfang von manchen als Horror-Mathe-Klassenfahrt betitelt wurde. Sondern vielmehr darum, zwei Wochen lang mit der Klasse, die man größtenteils seit neun Jahren kennt, in einem kleinen Schullandheim mit vier Duschen für 33 Leute zu verbringen.
Das Feldmessen, welches einem vor allem bei schlechtem Wetter mit seinen ganzen Stativen, winzigen Winkelprismen und Lattenrichtern eher mühselig erscheint, ist in der richtigen Dreiergruppe eine lehrreiche Teamarbeit und ein gutes Training, effizient die Aufgaben zu verteilen („Ich führe Protokoll, die anderen messen“.). Der richtige Umgang mit dem jeweiligen Gerät ist schnell erlernt, und durch lustige Zwischenfälle scheint die Zeit bis zum Mittagessen – zwischen Sumpf und kalten Händen ein relatives Tageshighlight – nur halb so lang.
Der Tagesablauf: Aufstehen, der Kampf um die Duschen beginnt. Nach müdem Auf- und Ab auf der Treppe, die den Schlaftrakt im 1. Stock mit den Sanitäranlagen im Parterre verbindet, gibt es um acht Uhr Frühstück. Acht Uhr fünfundvierzig, die morgendlich Ansprache zu den heutigen Arbeitsaufträgen wird gehalten. Die durch Schlafmangel ermüdeten Geister der Schüler erwachen nur langsam; da es wenig später aber an die frische Luft geht, ist man spätestens beim Tritt ins Sumpfgebiet hellwach. Die Aufgabe der Schüler für die nächsten zwölf Tage ist es, das Gebiet rings um die Herberge zu vermessen. Dafür wurde ein Grundpolygon, also ein riesiges Vieleck abgesteckt, welches die zu vermessende Fläche markiert. Außerdem wurden weitere Polygonpunkte errichtet, damit man es in viele kleine Polygone unterteilen kann.
Zuerst wird mit Kompassen die Abweichung der Strecken von Nord gemessen, zum Beispiel die Strecke A-I. Wer beim Lesen dieses Textes nun kein genaues Bild davon vor Augen haben sollte: keine Angst, das hatte ich anfangs auch nicht. Jedenfalls blinzelt man durch einen Kompass und kommt sich vor wie ein deplatzierter Seefahrer. Vorausgesetzt, man hat den jeweiligen Anfangs- und Endpunkt der Strecke gefunden; bevor die Karte schlussendlich entsteht, ist das Gebiet nämlich noch nicht so gut durchschaubar.
Auf die Kompasse folgen nach Längenmessungen die Theodoliten, die zu unseren neuen besten Freunden werden. Sie ermöglichen es uns, die Winkel der Polygone viel präziser zu ermitteln. Außerdem stellt sich die Theodolitenarbeit als immer beliebter heraus, als es neben dem Nivellieren an weitaus anspruchsvollere Aufgaben wie das Koordinieren von Zäunen und Schuppen in der Landschaft geht. Zitat: „Das mag ich nicht, da muss man so viel logisch überlegen!“
All die Mühen, die man in Gummistiefeln auf der Wiese durchleidet, machen sich aber durchaus bezahlt, als es an das Zeichnen der Karte geht. Der Parkplatz muss beispielsweise dreimal vermessen werden, bis das Ergebnis präzise genug ist, um es in die 1:250-er Karte zu übernehmen. Die gemeinschaftliche Arbeit an der Karte macht trotz gelegentlicher Glasfasersplitter in der Hand durch den Tuscheradierer viel Spaß, - vor allem, weil dadurch eine Brockenwanderung zu umgehen ist. Als die beiden Karten, einmal 1:250, einmal 1:1000, dann fertig gezeichnet sind, merkt man endlich, wofür sich die ganzen Messungen gelohnt haben: dass etwas richtig Professionelles und nicht nur irgendein Waldorfgemälde dabei rausgekommen ist. Als die Abreise ansteht und wir die doppelstock-bebetteten Zimmer an unsere Parallelklasse übergeben, wünschen wir ihr – haha – viel Spaß! Oder sind wir nur neidisch, weil wir wieder zurück in die Schule müssen und sie sich nun statt unserer an ihren freien Nachmittagen auf die Wiese neben dem Haus legen und sich die Bergsonne auf den Bauch scheinen lassen können?