29. Jan 2023

Wo das Wunder ist gescheh’n

Es war der erste Schultag nach den Ferien, Montagfrüh, alle dachten, der Alltag habe schon wieder begonnen, aber dann wurde man eines Besseren belehrt:
Erwartungsvolle Stille senkte sich über den Festsaal, den das warme Licht echter Kerzen erfüllte. Schweigend traten Maria und Josef auf die fast leere Bühne. Es setzte ein Gesang ein, der wie aus weiter Ferne zu klingen schien, so fein, dass man nicht sicher war, ob man die Musik nicht eigentlich schon die ganze Zeit gehört hatte, innerlich. Kräftiger wurden die Stimmen, kurz klangen die der ersten der Kinder, die in langen Reihen von hinten den Saal betraten, einzeln heraus, verbanden sich jedoch sogleich wieder zu einer Harmonie, die sich im Raum und in einem selbst ausbreitete. Es war, als ob ein Zauber sich über Jung und Alt legte, dem sich niemand entziehen konnte.

Wer es nicht schon war, wurde zum Kind, das viel später erst das Staunen in Worte zu fassen suchte: Wie getragen man gehen kann! Wie lange Maria und Josef so still und würdig die Huldigung der drei Könige und ihres Gefolges entgegennahmen! Wie oft sich Melodien wiederholten, ohne dass einem ein einziger Ton zu viel erschien! Wie vertraut sie einem klangen, wie man sich beim Gedanken ertappte: So könnte ich auch singen, wenn, ja wenn ...

Wie mutig und kraftvoll sich aus dem raum- und herzenfüllenden Gesamtklang die Dreiheiten der Anbetenden lösten, drei Mädchen erst, dann die drei tiefen Stimmen für sich, dann noch einmal in hoher Stimmlage drei Jungen. Waren da in dieser andächtigen Prozession aus weißgewandeten Gestalten wirklich die Mädchen und Jungen aus unserer 7b an einem vorbeigeschritten, oder vielleicht doch – Engel? Immer weiter entfernte sich der Klang, nahm einen mit, wie in die Unendlichkeit. Tiefe, friedliche Stille hatte sich im Saal ausgebreitet, der sich wie von selbst aus einem Alltags- in einen Andachtsraum verwandelt hatte.
Nicht nur im Dreikönigs-Singspiel hieß es zurecht: wo das Wunder ist gescheh’n …

Die im Matthäus-Evangelium beschriebene Geschichte der drei Weisen aus dem Morgenland wird seit vielen Jahrhunderten in immer neuen Fassungen weitergegeben und lebendig erhalten. Im anglo-amerikanischen Raum wurden im vorvorigen Jahrhundert Texte und  Melodien zu populären „christmas carols“ gefügt, so zu der Weise „Kings of orient“ die Titelzeile: „We three kings of orient are..“. Der (mittlerweile Kasseler) Heilpädagoge und Waldorflehrer Heiner Prieß brachte das in Schottland kennengelernte Singspiel in eine deutsche Fassung (u.a. „Seht, der Stern bleibt stille steh’n ...“), welches die Klasse 7b mit ihrer Klassenlehrerin, Frau Grünhage, dem Musiklehrer, Herrn Cordi und der Eurythmielehrerin, Frau Gädeke-Mothes über viele Wochen einstudiert hatte und am 9. Januar vormittags für die unteren Klassen und nachmittags für Familien und Gäste zur Aufführung brachte.

Text: S.Warnek · Fotos: Ehl